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Russisch Roulette

Ein fast perfekter Mord

Um seinen Gästen respektable Spenden zu entlocken, inszeniert Richard Engel seine Charity-Galas gerne mit knalligen Sensationseffekten. Sein Kalkül: je generöser die Summen, desto größer auch sein Ruhm. Doch bei der jüngsten Veranstaltung geht der Schuss nach hinten los: die Wohltätigkeit endet mit einem Mord.

Für die einfachen Gemüter scheint der Fall klar zu sein. Allerdings birgt die Tat eine gewisse Unlogik: Würde ein Täter so naiv vorgehen? Ein verwirrender Schlagabtausch zwischen einigen Anwesenden enthüllt plötzlich nicht nur weitere Verdächtige, sondern nährt auch die Vermutung, dass der Mörder selbst Opfer sein könnte. Opfer eines außergewöhnlich perfiden Planes. Doch wie sieht dieser Plan aus? Und vor allem: wer steckt dahinter?

Gäste in diesem Mordfall wissen noch einiges mehr dazu

Herzlich willkommen zur Charity­Gala der Johanna­Hertz­Stiftung. Der Einladung zu dieser Veranstaltung sind Sie gerne gefolgt: denn wo immer es um einen guten Zweck geht – Sie sind dabei.

Sie heißen Adelheid Schäuble und sind die Finanz‐ Chefin der Johanna‐Hertz‐Stiftung. Wie Sie zu der Stiftung gekommen sind, ist eine lange Geschichte. Wesentlich kürzer erzählt sich dagegen Ihre Begabung für Zahlen: als gebürtige Schwäbin ist Ihnen das Rechnen quasi in die Wiege gelegt worden. Und dabei ist Ihnen jüngst aufgefallen, dass die Stiftung derzeit Schulden hat in Höhe von 1,4 Millionen EURO. Nach dem ersten Schrecken haben Sie recherchiert und sind auf einen sehr delikaten Umstand gestoßen: Die Gelder wurden von Renate Hertz, Schirmherrin Ihrer Stiftung, verwendet. Sie hat ihre Tochter Johanna im Endstadium ihrer Krankheit in sehr teuren US‐amerikanischen und saudi‐arabischen Privatkliniken behandeln lassen. Menschlich verständlich, aber mit Geldmitteln der Stiftung?! Bisher haben Sie noch mit niemandem darüber gesprochen. Zumindest ist Ihnen nun klar, weshalb Renate auf die Idee zu dieser Veranstaltung kam!

Sie heißen Astrid Steuernagel und arbeiten in der Buchhaltung von Engel Fleisch, dem gigantischen „Imperium” von Richard Engel, der diese Veranstaltung auch organisiert hat. Gemeinsam mit seiner Sekretärin Ilona Ackermann wurden Sie beide heute dazu „verdonnert”, an der Veranstaltung teilzunehmen.

Zum Glück verstehen Sie sich ganz gut mit ihr. Ganz im Gegensatz zu Ulf Jablonski, dem Chauffeur von Herrn Engel. So ein arroganter Sack! Glaubt wohl, weil er den Maybach von Herrn Engel fährt, wäre er etwas Besonderes. Dass Herr Engel durchschnittlich zwei Knöllchen pro Woche bekommt, ist seine Sache. Wenn aber Ulf mit dem Wagen Privatfahrten macht und dabei Strafzettel kriegt, kann er die gefälligst auch selbst bezahlen. Warum Sie sich darüber so aufregen? Weil Ulf Ihnen heute früh wortlos ein Knöllchen in die Ablage gelegt hat. Von Ilona wissen Sie aber, dass Herr Engel den Wagen gestern gar nicht genutzt hatte!

Sie heißen Herbert Bürstenbecher und besitzen einen Autopflegedienst für Edellimousinen. Wer denkt, dass noble Fahrzeuge von den Eigentümern etwa auch nobel behandelt würden, der irrt gewaltig. Über den „Müll”, den Sie tagtäglich entfernen, ließen sich wahrlich aufschlussreiche Geschichten schreiben!

Die Einladung zur dieser Charity‐Gala haben Sie von Ulf Jablonski erhalten, der heute Nachmittag den Maybach seines Chefs zur Reinigung brachte (auf der Rückbank waren einige Blutspritzer!). So eine Charity‐Gala, meinte Ulf, wäre nämlich eine prima Gelegenheit, neue Geschäftskontakte zu knüpfen, da sich hier viel reiches Volk tummeln würde. Als Ulf den Maybach später wieder abholte, hatten Sie doch glatt vergessen, ihm einen Zettel auszuhändigen, den Sie beim Reinigen des Maybach gefunden hatten. Das können Sie ja jetzt gleich nachholen. Schließlich geht bei Ihnen nichts verloren! Nicht einmal ein Zettel.

Sie heißen Dr. Lothar Fiessmann und sind Mineraloge und Gutachter für Edelsteine.

Sie sind heute bei dieser Veranstaltung zugegen, weil Sie von Richard Engel eingeladen wurden. Herr Engel hat Sie vor geraumer Zeit aufgesucht, da er von einem holländischen Händler eine beträchtliche Anzahl an Diamanten zu einem angeblichen Schnäppchenpreis in Höhe von € 250.000 gekauft hatte. Er wollte von Ihnen wissen, welchen Wert die wirklich haben. Ob Herr Engel da zu naiv war oder einfach nur leichtsinnig ‐ als er Ihnen die Edelsteine zur Ansicht zeigte, mussten Sie ihm leider eine herbe Enttäuschung offenbaren: gut ein Drittel der Steine sind industriell gefertigte Diamanten. Und bei weitem nicht das wert, was Richard bezahlt hat